Die Schweigepflicht des Arztes dient nicht nur dem Schutz des einzelnen Patienten, sondern auch dem Schutz der Allgemeinheit, weil die Öffentlichkeit ebenfalls ein Interesse daran hat, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht beeinträchtigt wird und Kranke nicht aus Zweifeln an der Verschwiegenheit des Arztes davon absehen ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Daher ist regelmäsig eine Schweigepflichtsentbindungserklärung des Patienten erforderlich, mit dem dieser den Arzt von seiner Schweigepflicht gegenüber Dritten befreit. Minderjährige, die die notwendige Urteils- und Einsichtsfähigkeit besitzen, müssen selbst eine Entbindungserklärung abgeben. Liegt beim Minderjährigen keine Einsichtsfähigkeit vor, müssen seine gesetzlichen Vertreter den Arzt von der Schweigepflicht entbinden.
Auch psychisch Kranke können, wenn sie einsichtsfähig sind, den Arzt rechtswirksam von der Schweigepflicht entbinden. Fehlt dem psychisch Kranken die Einsichtsfähigkeit, trifft die Entscheidung der vom Vormundschaftsgericht bestellte Betreuer des Kranken.
Bei minderjährigen Patenten ist die Schweigepflicht auch gegenüber deren Eltern zu beachten, wenn diese Patienten die diesbezügliche Einsichtfähigkeit besitzen.
Problematisch ist zum Beispiel die Frage, ob der Arzt aber von sich aus unter Nichtbeachtung seiner Schweigepflicht Mitteilungen zum Beispiel gegenüber der Führerscheinstelle wegen der Besorgnis der Fahruntauglichkeit des Patienten machen darf.
Die Strafbarkeit bei einem Verstoss des Arztes gegen die Schweigepflicht würde entfallen, wenn ein sogenannter rechtfertigender Notstand vorläge, § 34 StGB. Mit anderen Worten: "nur der Arzt ganz allein" muss eine Abwägung unter Einbeziehung aller Umstände treffen, ob im konkreten Einzelfall den allgemeinen Sicherheitsinteressen des Strassenverkehrs der Vorrang vor der Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht einzuräumen ist.
Dementsprechend trägt der Arzt auch das alleinige Risiko einer Fehleinschätzung wenn er sich durch die Benachrichtigung der Polizei oder der Verwaltungsbehörde in den Dienst der Verkehrssicherheit stellt, (vgl. Joachim, Allgemeine Verkehrsmedizin in: Praxis der Rechtsmedizin, Herausgeber Foster, 1986, S. 360 ff, (Fn. 1 S. 416).
Ein strafrechtlicher Rettungsanker wäre, dass die irrige Annahme einer Notstandslage den Vorsatz ausschliesst und fahrlässige Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht nicht strafbar ist. Allerdings kann eine fahrlässige Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht zivilrechtliche Ansprüche auslösen.
Das Offenbarungs-"recht" kann sich aber unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz (ein Verhalten, durch das eine Gefahr geschaffen wird und das zur Abwendung gerade dieser Gefahr verpflichtet) in eine Offenbarungspflicht des Arztes umwandeln.
Eine Offenbarungspflicht hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. in seiner in der Literatur scharf kritisierten
Entscheidung vom 05.10.1999 - NJW 2000, 875 ff. - angenommen. Der Arzt soll danach auch gegen den ausdrücklich geäusserten Willen des HIV-infizierten Patienten dessen Lebenspartner entgegen der ärztlichen Schweigepflicht über diesen Umstand informieren müssen. Das OLG Frankfurt a. M. ist hier ohne Not über das Ziel hinaus geschossen, weil es die Klage ohnehin wegen fehlendem Kausalitätsnachweis der HIV-Infektion beim Lebenspartner abgewiesen hat. Es hätte über die Frage einer Verpflichtung die ärztliche Schweigepflicht durchbrechen zu müssen gar nicht entscheiden müssen und hat dies in einem
obiter dictum gleichwohl getan. Dabei habe - so die Kritik - der 8. Zivilsenat die Wechselwirkung mit dem Strafrecht nicht genügend beachtet und dem Arzt Pflichten zur Abwägung von Rechtsgütern aufgebürdet, bei denen selbst studierte Juristen zu völlig gegenteiligen Ergebnissen kämen.
Ein Offenbarungsrecht verneint hat das Landgericht München I in seiner Entscheidung vom 21.08.2008 - 9 O 22406/97 - und den Arzt verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000,00 Euro zu zahlen. Der Arzt hatte ohne Zustimmung des Patienten dessen Ehefrau ein Attest über die "Störung der Geistestätigkeit" zugeleitet, in dem er den Patienten als selbst- und fremdgefährlich einstufte. Das Landgericht führte aus, das es überhaupt nicht darauf ankäme, ob die Diagnose nun richtig sei oder nicht. Es läge jedenfalls eine zivilrechtlich zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtende schuldhafte Verletzung der Schweigepflicht des Arztes vor, die auch gegenüber Ehegatten gelte.
Gesetzliche Offenbarungspflichten, die die ärztliche Schweigepflicht durchbrechen sind zum Beispiel in § 138 StGB (z.B. bei Kenntniserlangung von geplanten schwersten Straftaten, wie Mord und Totschlag) und in § 3 Bundesseuchengesetz enumerativ aufgeführt.
Unproblematisch ist der Sachverhalt, wenn der Patient selbst mit der Weitergabe der bei der Untersuchung festgestellten Befunde an die Behörde einverstanden ist, oder der Arzt im Auftrag der Behörde die Fahrtauglichkeit untersucht und der Patient den Arzt gegenüber der Behörde von seiner Schweigepflicht entbunden hat.